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Dem Trauma ausweichen? Das bewegende Buch von Kaleb Erdmann

Wie schön, dass es dieses Buch auf die gerade veröffentlichte Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat! Kaleb Erdmann erzählt darin die Geschichte eines jungen Autors, der ein Buch über den Amoklauf vor rund zwanzig Jahren am Gutenberg Gymnasium in Erfurt schreiben will. Der Erzähler – genauso wie der Autor – war zu dem Zeitpunkt dort Schüler. Er ringt mit seinem damaligen Fünftklässler-Ich um die richtige Erinnerung und um die Frage, ob er überhaupt berechtigt sei, über diese Tragödie zu schreiben. Dabei reflektiert er den gesellschaftlichen Umgang mit dem Amoklauf, etwa mit dem Gedanken: Wieso beschäftigte damals so viele die Frage nach dem „Warum?“, die wie so viele Gedanken seinerzeit doch nur um den Attentäter kreiste? Oder stand dahinter nicht eigentlich die Frage: In welcher Welt leben wir, in der so etwas passieren kann?

Der Erzähler stellt sich dem Erlebnis tapfer und neugierig, so auch bei der Lektüre des kühlen Untersuchungsberichts oder in literarischen Bezügen, etwa zu Emmanuel Carrère oder der Autofiktion von Annie Ernaux. Er führt Gespräche mit einem „Dramatiker“ der ein Theaterstück über Erfurt schreibt und mit einem damaligen Schulfreund und einer Therapeutin. Eindeutig traumatisiert erleben wir den Erzähler, der den Grad seiner Betroffenheit und seine Berechtigung immer wieder hinterfragt. Ein schmerzhaftes, aber auch sehr erhellendes und irgendwie befreiendes Buch.

Dies ist der zweite Roman von Kaleb Erdmann, Jahrgang 1991, der unter anderem in Leipzig Literarisches Schreiben studiert hat.

Kaleb Erdmann: „Die Ausweichschule“
Park Ullstein, 304 Seiten, 22,-
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