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Albert Speer und sein Führer: Kultur und Diktatur – das neue Buch von Jean-Noël Orengo, übersetzt von Nicolas Denis

In „Der Architekt und sein Führer“ des französischen Autors Jean-Noël Orenga geht es um Albert Speer und Adolf Hitler. Was hat die beiden aneinander dermaßen fasziniert? Was sagt diese Beziehung über die wechselseitige Beziehung von Diktator und Kunst. Wie konnte es Albert Speer gelingen, sich bis in die Nachkriegszeit als „den guten Nazi“ zu inszenieren. Zu dem Buch habe ich der in Celle geborenen Übersetzerin Nicola Denis einige Fragen gestellt:

❓Was ist das Besondere an diesem Buch? Orengo beschreibt die Beziehung zwischen Speer und Hitler als eine Liebesbeziehung. Was zieht die beiden gegenseitig an?

NICOLA DENIS: Orengo greift hier die These auf, dass eine homoerotische Anziehung zwischen den beiden Männern bestanden haben soll. Das Verbindende zwischen beiden ist die Kunst – Hitler, der sich als gescheiterter Künstler gerne mit einem „anderen Künstler“, seinem Architekten, umgibt und unterhält. Und das gepflegt Bürgerliche, das Speer im Unterschied zu fast allen anderen Männern im Dunstkreis Hitlers ausgestrahlt hat, spielt bei Orengo auch eine Rolle.
Für mich ist das aber eher eine nebensächliche Metapher, die das Buch gewissermaßen einklammert. Wichtiger erscheint mir die Darstellung von Speer als grandiosem Manipulator und skrupellosen Lügner, der einen das Fürchten lehrt. Diese Mechanismen arbeitet Orengo sehr genau heraus: wie Speer angefangen bei den Nürnberger Prozessen bis hin in seinen „Erinnerungen“ und den „Spandauer Tagebüchern“ oder seinen zahlreichen Fernsehauftritten in der Bundesrepublik systematisch die Unwahrheit gesagt hat und seine Rolle als Rüstungsminister, als der er selbstverständlich von der Judenvernichtung wusste, heruntergespielt hat. Und wir sind seiner Autofiktion als Künstler, der über den Dingen stand, dem Bild von Speer als „gutem Nazi“, fast alle aufgesessen.

❓Ist das Buch von Jean-Noël Orengo tatsächlich ein Roman? Ist es nicht eher ein Essay?

NICOLA DENIS: Das ist eine sehr deutsche Frage! In Frankreich sind die Genregrenzen viel fließender, und die Qualität von Literatur bemisst sich mehr an der formalen Gestaltung als an einem prozentualen Anteil von „Wahrheit“ oder Fiktion. Die Fiktion entsteht ja allein schon durch die Auswahl der Szenen und ihre Verknüpfungen, der Autor spinnt Gedanken weiter und imaginiert Szenen, die so nicht stattgefunden haben oder in Speers Memoiren überliefert sind. Zum Beispiel malt er die Beziehung zwischen Albert Speer und Leni Riefenstahl weiter aus, stellt sich vor, dass die beiden als Künstler hellsichtiger gewesen wären als andere und womöglich sogar aus Nazi-Deutschland hätten fliehen können.

❓Was war die besondere Herausforderung dieses Textes für dich als Übersetzerin?

NICOLA DENIS: Es gibt Texte, die deutlich schwieriger zu übersetzen sind als dieser. Orengo benutzt eine sehr klare, schnörkellose Sprache, und auch seine Recherchen sind präzise. Aber ich musste tatsächlich viele Zitate aus Speers „Erinnerungen“, aus den „Spandauer Tagebüchern“ und aus dem von der Historikerin Gitta Sereny verfassten Buch „Das Ringen um die Wahrheit“ zusammentragen oder manche Bezeichnungen, frühere Institutionsnamen etc. überprüfen.

❓Du hast einige viel beachtete, wichtige Bücher französischer Autoren über deutsche Geschichte, insbesondere den Nationalsozialismus übersetzt (Eric Vuillard, Olivier Mannoni).Gibt es etwas, was die Sicht der französischen Autoren auf die deutsche Geschichte besonders auszeichnet?

NICOLA DENIS: Man schreibt ja eigentlich immer auch über sich selbst, und in diesem Fall, denke ich, schreiben die Franzosen in einem anderen, eben deutschen historischen Dekor, ein Stück weit auch über die eigene Vergangenheit und über den erstarkenden Rechtsextremismus . Und sie nehmen sich die Freiheit, sich literarisch mit den Tätern der Nazizeit auseinanderzusetzen – wie zum Beispiel Eric Vuillard, aber auch Olivier Guez mit seinem Buch über Mengele oder Laurent Binet über Heydrich – und ihnen einen fiktionalen Anstrich zu geben, was in Deutschland immer noch sehr gewagt und umstritten wäre.

❗️Herzlichen Dank, Nicola!

Jean-Noël Orengo: „Der Architekt und sein Führer“
Rowohlt Verlag, 271 Seiten, 24,-
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